Viewegstraße Braunschweig
Die Viewegstraße führt heute von der Campestraße zum Berliner Platz. Den Namen hat sie ebenso wie das in unmittelbarer Nähe liegende Parkgelände (Viewegsgarten) vom Verleger Friedrich Vieweg (1761-1835).
Die dynastische Verlegerfamilie Vieweg
Geboren in Halle an der Saale gründete er 1786 in Berlin den Vieweg Verlag (auch Werke von Johann Wolfgang von Goethe – Hermann und Dorothea 1797 – wurden hier herausgegeben) und siedelte im Jahre 1799 mit dem Verlag nach Braunschweig um. Der Braunschweiger Herzog Karl Wilhelm Ferdinand hatte ihn eingeladen, da der Herzog beabsichtigte, eine Buchhändlermesse in Braunschweig zu installieren und Vieweg hierzu interessante Vorschläge machte, leider verlief das Vorhaben im Sande. Er schenkte Vieweg das Grundstück des baufälligen Theaters auf dem Burgplatz und dieser errichtete dort das noch heute stehende Gebäude des Vieweghauses (jetzt Teil des Landesmuseums). Eine dynastische Verlegerfamilie, da der Schwiegervater von Friedrich Vieweg, Joachim Heinrich Campe (Campestraße in Braunschweig), ebenfalls erfolgreicher Buchhändler, Verleger und auch Literat war. J. H. Campes Neffe war Inhaber des Verlages Hoffmann und Campe. Friedrich Viewegs Sohn Eduard wiederum übernahm den Vieweg Verlag, der weitere Sohn Friedrich jun. gründete in Paris eine eigene Verlagsbuchhandlung und eine der Töchter, Blanca, heiratete den Verlagsbuchhändler Georg Westermann (Georg-Westermann-Allee in Braunschweig). Der Vieweg Verlag ging 1966 an den Pergamon Verlag in Oxford, 1974 wurde er Teil des Bertelsmann Imperiums und der Sitz von Braunschweig nach Wiesbaden verlegt. 2008 wurde er mit dem Teubner Verlag vereinigt, seit 2010 ist er Teil des Springer Konzerns und seit 2012 heißt er Springer Vieweg Verlag. Es werden klassische und digitale Lehr- und Fachmedien im Bereich Technik herausgegeben.
Der Viewegsgarten war der Park der Familie
Der Viewegsgarten, der diesem Stadtteil Braunschweigs auch seinen Namen gibt, war der Park der Familie. In ihm standen die Viewegvilla und weitere Nebengebäude. Im Kriege wurde die Villa durch Bomben stark beschädigt. Im Zuge des Neubaus des Hauptbahnhofes Ende der 1950er Jahre wurde die Gegend völlig umgestaltet. Nur alten Braunschweigern ist noch bewusst, dass hier sehr viele schöne Gründerzeithäuser standen, die den Krieg unbeschadet überstanden hatten. Diese fielen den Planungen zum Opfer, ebenso die verschwundenen Straßen (Elmstraße, Klausenstraße, Lutterstraße und Heitbergstraße). Die Viewegstraße lief auf den Friedrichsplatz zu, dieser ist heute ein kleiner Teil des Berliner Platzes. Etwa im Auslauf der Georg-Wolter-Straße zur Viewegstraße lag der Eingang zum Viewegsgarten mit der Viewegvilla. Und ich finde, es war eine Schande, diesen Park zu zerschneiden und die beschädigte Villa und angrenzende Gebäude wie die Pferdestallungen und Kutschenremise abzureißen, heute völlig undenkbar.
Braunschweiger Schule: Einflussreiche Architektur der Nachkriegszeit
Die Zeit der 1950er bis 80er Jahre war geprägt durch eine Architekturlehre, die da hieß Braunschweiger Schule, deren heute noch bekanntester Vertreter der Architekt Friedrich Wilhelm Kraemer war. Die TU Braunschweig genoss und genießt einen exzellenten Ruf bei der Ausbildung von Architekten, daher hatten Entwicklungen hier großen Einfluss auf die Bauplaner, besonders im norddeutschen Raum. Die Braunschweiger Schule basierte auf den Idealen der modernen Architektur der 1920er und frühen 1930er Jahre, der neuen Sachlichkeit des Bauhausstils. Im Vordergrund stand das Streben nach einer „gesamtheitlichen“ Architektur unter Berücksichtigung der drei Aspekte: Funktion, Konstruktion und Form, die in einer systematischen, auf das Objekt bezogenen Lehre zusammengefasst wurden. Demgegenüber sollten nach der Programmatik dieser Schule stilistische oder regionalistische Fragen keine besondere Rolle spielen.
Viewegstraße – rechts – um 1905 in Richtung Campestraße: Ein harmonisches Straßenbild.
Viewegstraße 2017: Rechts einer der drei Hochhauswohntürme des Atrium Bummel Centers – eine sehr veränderte Gegend.
Bomben zerstörten alte Fachwerkhäuser
Die heutige Wilhelmstraße sieht, wie die Ansicht von 2016 zeigt, „etwas“ anders aus als 1905. Die Bomben leisteten ganze Arbeit an der alten Fachwerksubstanz. Die Schadenskarte vom Mai 1945 weist bei 119 vorhandenen Häusern eine Zerstörung von 106 Häusern aus. Mittlere bis schwere Schäden hatten 11 und leichte oder keine Schäden nur 2 Häuser. Nur der Teil des alten Amtsgerichts wurde wieder instand gesetzt.
Atrium Bummel Center und drei Hochhäuser
Dieser „Lehre“ entstammen z. B. die Planungen und Bauten des neuen Braunschweiger Hauptbahnhofs, des Atrium Bummel Centers (Hotel, drei Hochhäuser und eine Ladenpassage als „Einfallstor“ für Bahnreisende in die Braunschweiger Innenstadt) und der Kurt-Schumacher-Straße. Es stellte sich heraus, dass die Kurt-Schumacher-Straße völlig überdimensioniert gebaut wurde und dass das Atrium Bummel Center nie gut angenommen wurde, da der Weg der Reisenden nicht hierüber führte. Die bei Eröffnung vorhandenen Geschäfte machten nach und nach zu, heute gibt es hier z. B. einen Zahntechniker, eine Radiologie-Praxis, eine Podologin, eine Versicherungsagentur und ein riesiges Fahrradgeschäft. Dafür sind Nahversorger, Bank, etc. gegangen. Die drei Hochhäuser hatten teilweise Leerstandsquoten von bis zu 18 % bei über 350 Wohnungen. Nach Eigentümerwechsel und erfolgter „Sanierung“ soll es besser laufen, wir werden sehen. Aus diesen Gründen war die Braunschweiger Schule heftiger Kritik ausgesetzt. Ihr wurde vorgeworfen, bauliche Fremdkörper in seit Jahrhunderten geprägte Städte gesetzt zu haben, die weder auf historische gewachsene Stadtgrundrisse und -landschaften, noch auf die Nachbarbebauung in angemessener Weise Rücksicht genommen hätten. Derzeit wird sensibler mit diesem Thema umgegangen, dennoch wundere ich mich, was an „hässlichen“ Neubauten auch heute noch entsteht, das gilt aber deutschlandweit.
Geschäft von Emil Scheller
Auf unserer Ansicht von 1906 sehen wir zentral das Haus auf der Ecke Autor-/Viewegstraße mit dem Geschäft von Emil Scheller, der übrigens auch der Auftraggeber dieser wirklich seltenen Karte ist. Und wo wir gerade bei der Architektur sind, dieses Eckgebäude ähnelt dem bekannten Wahrzeichen Manhattans. Des auf unzähligen Ansichten verewigten Hochhauses an der ebenfalls spitzwinkligen Ecke Fifth Avenue/Broadway in New York. Als Fuller Building gebaut, aber von den New Yorkern aufgrund der Dreiecksform Flatiron oder deutsch Bügeleisen genannt. Allerdings ist das Flatiron achtmal höher und war New Yorks seinerzeit höchstes Gebäude (Baujahr 1901 – 22 Stockwerke – Höhe 86 m). Durch die Windböen, die sich im Zusammenhang mit dem Baukörper ergeben, konnte es sein, dass die Röcke der Damen, die um die Spitze gingen, hochwehten und ihre Knöchel zum Vorschein kamen. Zu der Zeit ein Skandal. Es postierten sich zunehmend „Schaulustige“, um einen solchen Anblick zu erhaschen. Erst ein ständiger Polizeiposten brachte Ruhe bei den Gemütern. Im Gegensatz zum amerikanischen Nachbild hat das Scheller-Haus (Baujahr circa 1895) leider 1944 sein Dasein aufgeben müssen, eine Weltkriegsbombe zerstörte es, wie der Krieg in dieser Straße so manche Lücke riss. Im Bereich Viewegsgarten wurden nach dem Bau des Bahnhofs 10 Häuser mit teils weit mehr als sieben Stockwerken gebaut, ein wahres „Okerhattan“.
Straße mit Alleecharakter
In der Viewegstraße Ecke Charlottenstraße befindet sich auch das Gründerhaus von Franke und Heidecke. Diese Firma stellte die Rollei Fotoapparate her und erlangte damit Weltruhm. Ein neuzeitliches besonderes Gebäude steht in der Viewegstraße 26. Ein bis Mitte der 1990er Jahre als Hundeklo genutztes, drei- bis mehreckiges Grundstück. Ein Überbleibsel des furienartigen Zerschlagens der alten Gegend. Dieses wurde mit einem modernen Dreieckbau von den Architekten Schulitz und Partner bebaut. Mit viel Stahl, viel Glas und Farbigkeit setzt es einen guten Akzent des Modernismus. Wenn Sie im fortgeschrittenen Frühling von der Campestraße aus die Viewegstraße hochkommen, werden Sie überrascht sein welch schönen Alleecharakter diese Straße bietet. Es gibt Ahornbäume, die sollen über 120 Jahre alt sein. Es lässt sich jetzt hier sehr gut leben.
Dieser Artikel ist ein Teil der Magazinreihe „Damals & heute“, herausgegeben von FUNKE Medien Niedersachsen GmbH. Text von Dirk Teckentrup – Ihr Immobilienmakler Braunschweig.