Reichenbergstraße Braunschweig

Die Reichenbergstraße liegt im nördlichen Braunschweiger Stadtgebiet und verläuft vom Wendenring zur Wendenmaschstraße, den Namen hat sie seit 1889. Richenberge hieß nach dem Braunschweiger Historiker Jürgen Hodemacher eine Hofstelle, die hier in der Nähe lag, dies belegen Urkunden aus den Jahren 1220f.  Der Hof, wie auch andere, sind in den Erbterritorialstreitigkeiten zwischen dem Welfenherzog Otto I. (1204–1252), Kaiser Friedrich II (1194–1250) und gierigen Nachbarn vernichtet worden. Die Bebauung der Reichenbergstraße begann Anfang der 1890er Jahre. Bauherren waren auch hier Tischlermeister, Malermeister, Maurermeister und Bauunternehmer. Bewohner waren meist kleine Angestellte, niedere Beamte und daneben auch unselbstständige Handwerker. In dem Vorläufer der Braunschweiger Zeitung wird im Jahr 1891 darauf hingewiesen, dass die Straßenbeleuchtung äußerst mangelhaft ist, da noch nicht vorhanden. Besonders gefährlich wäre der Übergang von der Wendenmaschstraße über die neue Okerbrücke zur Bammelsburger Straße und zum Gaußberg, hier müssten die Passanten durch Ertasten den Zugang zur Brücke suchen. Von ertrunkenen Fußgängern ist uns aber Gott sei Dank nichts überliefert. 1906 wohnte in der Reichenbergstraße Nummer 5 im 2. Obergeschoss die Telegrafengehilfin Emma Trüter.

Die telegrafische Übermittlung von Nachrichten und Daten hat der damaligen Zivilisation einen großen Informationsschub verliehen, ähnlich wie vor einigen Jahren die Verbreitung des Internets. Nun war man in der Lage, durch kabelgebundene Knotenpunkte überall auf der Welt Nachrichten über wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen in Sekundenschnelle zu erhalten, zu bewerten und danach zu handeln. Einer der Wegbereiter war der Braunschweiger Gelehrte Carl Friedrich Gauß. Er führte mit Wilhelm Weber 1833 auf einer Strecke von circa einem Kilometer zwischen dem Physikgebäude bei der Paulinerkirche in der Göttinger Innenstadt und der Göttinger Sternwarte erfolgreiche Versuche mit einem elektromagnetischen Telegrafen durch.  Im Zuge der industriellen Revolution explodierten die versandten Nachrichten. In Großbritannien liefen 1871 pro Woche etwa 60.000 telegrafische Nachrichten über die Postämter, 1872 waren es bereits über 200.000. Zum Ende des 19. Jahrhundert waren alle Kontinente über Seekabel miteinander verbunden und die Wirtschaft globalisierte sich zusehends. Dadurch gab es vermehrt Bedarf an Arbeitskräften in diesem Bereich. Beamtenplätze für Frauen waren bei der Post lange Zeit so gut wie nicht vorhanden. Vorbehalte bzgl. fehlender Körperkraft für schwere Arbeit des unteren Dienstes, das fehlende Ansehen gegenüber dem unterstellten männlichen Personal bei „gehobenen Stellen“ erschwerte eine Arbeitsaufnahme, daneben wurde vermutet, Frauen könnten das Postgeheimnis nicht bewahren, zudem beeinträchtigte der häufige Wechsel bei Heirat den Dienstablauf.

Reichenbergstraße

1905 – Blickrichtung Wendenmaschstraße, fast noch ein „Neubaugebiet“.

2018 – Die Gebäude sind deutlich wiederzuerkennen, durch Straßenbäume wird ein freundliches Bild erzeugt.

Durch die Technisierung konnten aber ab 1880 vermehrt Frauen auch „Telegrafengehülfin“ werden. Nach einer kostenlosen sechsmonatigen Ausbildung betrug ihr Jahresgehalt anfangs 750 Mark und konnte nach Dienstjahren auf 1.050 Mark steigen, vergleichbar mit dem Einkommen einer Lehrerin. Wie auch Lehrerinnen mussten sie bei Heirat aus dem Dienst ausscheiden (Fräulein vom Amt). Diese Zölibatsklausel wurde erst in der Weimarer Verfassung (1919) gekippt. Seit 1919 besaßen Frauen auch erstmalig das Wahlrecht in Deutschland. Wie wir sehen, sind Frauenrechte in vielen Jahren Schritt für Schritt „erkämpft“ worden. Besonders die aufgeklärten Frauen der westlichen Staaten sollten sich, vor dem Hintergrund der derzeitigen und künftigen gesellschaftlichen Veränderungen, dessen bewusst sein und nicht glauben, dieses sei ein „Naturgesetz“.  Im 2. Weltkrieg haben vier Häuser der Reichenbergstraße einen Bombentreffer abbekommen, sie galten als bedingter (es stand noch etwas) Totalschaden.

 

Dieser Artikel ist ein Teil der Magazinreihe „Damals & heute“, herausgegeben von FUNKE Medien Niedersachsen GmbH. Text von Dirk Teckentrup – Ihr Immobilienmakler Braunschweig.

 

Zurück zur Übersicht